Quick Takes
OTC-Bestände kommen aus Mining, Treasuries und Frühinvestoren.
Eine 500-Millionen-Order würde an Börsen den Preis sofort treiben.
OTC-Desks liefern große Mengen diskret und ohne Slippage.
Erst wenn OTC knapp wird, steigt der sichtbare Kaufdruck.
Warum wir riesige Käufe sehen – aber der Preis kaum reagiert
Regelmäßig lesen wir Schlagzeilen wie:
„500 Millionen Dollar in Bitcoin gekauft“ oder „Institutionelle Investoren akkumulieren massiv XRP“.
Viele erwarten dann sofort steigende Kurse. Doch oft passiert erstaunlich wenig.
Der Grund dafür sind OTC-Bestände.
Ein Großteil dieser Käufe läuft nicht über öffentliche Börsen, sondern über den sogenannten OTC-Handel. Dadurch entsteht kein sichtbarer Kaufdruck im normalen Orderbuch und damit auch kein unmittelbarer Preisanstieg.
Was bedeutet OTC überhaupt?
OTC steht für Over-the-Counter. Gemeint ist der Handel außerhalb klassischer Krypto-Börsen. Käufer und Verkäufer handeln hierbei direkt über spezialisierte OTC-Händler oder Desk-Strukturen.
OTC-Handel wird vor allem genutzt von:
-
institutionellen Investoren
-
Fonds
-
Unternehmen
-
Family Offices
-
vermögenden Privatpersonen
Der entscheidende Vorteil:
Große Kauf- oder Verkaufsaufträge können diskret, ohne Slippage (Kursabweichung) und ohne Marktverwerfungen abgewickelt werden.
Während eine große Order auf einer Börse wie Binance oder Coinbase den Preis sofort stark bewegen würde, bleibt ein OTC-Deal unsichtbar für den öffentlichen Markt.
Was genau sind OTC-Bestände?
OTC-Bestände sind vorgehaltene Coin-Reserven, die OTC-Händler bereits besitzen oder kurzfristig beschaffen können, um Großkunden direkt zu beliefern.
Diese Bestände funktionieren wie ein Liquiditätspuffer:
-
Käufer greifen auf vorhandene Coins zurück.
-
Verkäufer geben direkt an den OTC-Desk ab.
-
Der offene Markt bleibt dabei oft unangetastet.
Beispiel: Eine Firma will 500 Millionen Dollar in Bitcoin kaufen
Stellen wir uns vor, ein großes Unternehmen möchte 500 Millionen Dollar in Bitcoin investieren.
Über eine klassische Krypto-Börse wäre das nahezu unmöglich, ohne den Preis massiv zu bewegen. Im Orderbuch liegen vielleicht nur wenige Millionen Dollar Verkaufsvolumen in unmittelbarer Nähe des aktuellen Kurses. Eine so große Order würde den Preis sofort nach oben treiben, mehrere Preisstufen durchbrechen und eine sichtbare Marktreaktion auslösen.
Über einen OTC-Desk läuft derselbe Kauf ganz anders ab.
Die Firma wendet sich direkt an einen OTC-Händler und nennt das gewünschte Volumen. Der Desk prüft daraufhin seine eigenen Bestände oder beschafft die benötigte Menge diskret über Miner, Projekt-Treasuries oder größere Verkäufer. Anschließend einigen sich Käufer und Händler auf einen festen Durchschnittspreis. Die gesamte Transaktion findet privat statt, ohne Orderbuch und ohne sichtbare Spuren im Markt.
Woher stammen OTC-Bestände konkret?
OTC-Liquidität entsteht aus mehreren klar nachvollziehbaren Quellen:
1. Frühere Akkumulation
Viele OTC-Händler haben sich in frühen Marktphasen große Bestände zu niedrigen Preisen gesichert. Diese Reserven werden über Jahre hinweg für institutionelle Kunden bereitgehalten.
2. Mining-Abflüsse
Im Bitcoin-Netzwerk verkaufen Miner regelmäßig Teile ihrer Erträge direkt über OTC-Strukturen, um den Markt nicht mit großen Verkaufsorders zu belasten.
3. Projekt-Treasuries und Stiftungen
Bei vielen Altcoins verkaufen Projektteams oder Stiftungen Token nicht über Börsen, sondern über OTC-Kanäle, um Marktstörungen zu vermeiden.
4. Börsenabflüsse großer Wallets
Große Investoren ziehen Coins gezielt von Spot-Börsen ab und verlagern sie in OTC-nahe Verwahrstrukturen.
5. Vesting-Modelle und frühe Investoren
Token aus Sperrfristen werden nach Freigabe häufig zuerst OTC platziert, bevor sie überhaupt am offenen Markt auftauchen.
Diese Mechanismen erklären, warum trotz hoher Nachfrage oft keine direkte Kursreaktion sichtbar ist.
Wie OTC-Händler ihre Bestände aufbauen
OTC-Händler warten nicht erst auf große Kaufanfragen, um Liquidität zu beschaffen. Sie bauen ihre Bestände strategisch über Marktzyklen hinweg auf. Ein entscheidender Zeitpunkt dafür sind Phasen von Unsicherheit, Korrekturen und Panik.
Wenn der Markt stark fällt und viele Anleger verkaufen, treten OTC-Desks als strukturierte Großabnehmer auf. Sie kaufen dann gezielt größere Mengen von Vermögenswerten wie Bitcoin oder XRP ein, oft direkt von:
Minern
Fonds
Projekt Treasuries
institutionellen Verkäufern
Diese Käufe erfolgen frühzeitig und meist zu deutlich günstigeren Preisen. Über Wochen und Monate entsteht so ein strategischer Lagerbestand, der später genutzt wird, um institutionelle Käufer in Aufwärtsphasen diskret zu bedienen.
OTC-Händler agieren dabei nicht emotional, sondern zyklisch und liquiditätsorientiert:
Sie kaufen, wenn andere verkaufen müssen und geben Liquidität ab, wenn die Nachfrage institutionell steigt. Genau dieses Verhalten macht den OTC-Markt zu einem Puffer zwischen Panikphasen und Boomphasen.
Dieser Aufbau ist zugleich der Grund, warum OTC-Bestände:
-
in Bärenmärkten oft stark anwachsen
-
in Bullenmärkten systematisch abgebaut werden
-
und irgendwann eine natürliche Erschöpfung erreichen können
Drücken OTC-Bestände den Preis?
Eine häufige Annahme lautet: OTC-Handel „unterdrückt“ den Preis.
Das ist nicht korrekt.
OTC-Händler drücken den Preis nicht aktiv, sie entkoppeln die Nachfrage lediglich zeitweise vom sichtbaren Markt. Solange ausreichend OTC-Bestände verfügbar sind, können große Käufer bedient werden, ohne dass sie das Börsenangebot verknappen.
Der Effekt ist also kein künstlicher Preisdeckel, sondern ein Liquiditätsfilter zwischen institutioneller Nachfrage und öffentlichem Orderbuch.
Hält dieses Modell für immer?
Nein. OTC-Bestände sind endlich.
Jeder große Kauf reduziert diese Reserven. Gleichzeitig steigt die institutionelle Nachfrage stetig. Irgendwann entsteht ein Punkt, an dem:
-
die OTC-Bestände deutlich schrumpfen
-
Verkäufer weniger Liquidität bereitstellen
-
neue Käufer gezwungen sind, direkt über Börsen zu kaufen
Genau dann verändert sich die Marktdynamik fundamental:
-
Angebot an den Börsen wird knapper
-
selbst kleinere Kaufvolumina bewegen den Preis deutlich stärker
-
Aufwärtsbewegungen beschleunigen sich sichtbar
Historisch betrachtet sind genau diese Phasen oft der Zeitpunkt, an dem der Markt aus einer längeren Seitwärtsphase in eine stärkere Trendbewegung übergeht.
Warum dieses Thema aktuell besonders wichtig ist
Der Kryptomarkt befindet sich in einer Phase zunehmender institutioneller Beteiligung. Mit dem wachsenden Einfluss von:
-
Fonds
-
börsengehandelten Produkten
-
Unternehmensbilanzen
verlagert sich ein erheblicher Teil der Nachfrage systematisch in den OTC-Bereich.
Das erklärt, warum Anleger aktuell häufig beobachten:
-
hohe gemeldete Kaufvolumina
-
steigende Verwahrbestände bei institutionellen Akteuren
-
aber nur begrenzte Bewegung im Spot-Preis
OTC-Bestände wirken hier wie ein Zwischenspeicher für strukturelle Nachfrage.
Fazit
OTC-Bestände sind ein zentraler, aber oft missverstandener Bestandteil des Kryptomarktes. Sie erklären, warum selbst Milliardendeals den Kurs kurzfristig kaum bewegen. Der Handel findet außerhalb der Börsen statt, gespeist aus Mining-Erträgen, Projekt-Treasuries, Frühinvestoren und strategischer Akkumulation.
Dieses Modell bietet Stabilität für Großinvestoren, ist aber nicht unbegrenzt tragfähig. Sobald OTC-Liquidität spürbar abnimmt, verlagert sich die Nachfrage zunehmend in den offenen Markt. Dann wird aus stiller Akkumulation sichtbarer Kaufdruck.
Wer den Kryptomarkt langfristig verstehen will, kommt an der Beobachtung der OTC-Ströme nicht vorbei. Sie zeigen oft früher als der Kurs selbst, wie sich Angebot und Nachfrage im Hintergrund wirklich entwickeln.

